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Die Normalität und deren Tragik

Ereignisse sind tragisch, wenn wir diese aus Betroffenheit so bewerten. Manchmal ist es eine individuell-unterschiedliche Bewertung einer Situation und manchmal ist die Bewertung kollektiv-einheitlich, weil die Betroffenheit und Bestürzung gross ist. Letzteres dann, wenn uns klar wird, wo unser aller Grenzen liegen, die Grenzen des Menschen allgemein. Das jüngste Beispiel dazu ist das Ereignis mit dem Absturz des Flugzeuges über den Französischen Alpen.
Das Thema mit dem wir hier konfrontiert werden, ist der plötzliche, unerwartete Tod von Menschen, welche machtlos dem Ende ihres Lebens begegnet sind, obwohl sie sich gerade mittendrin, oder sogar noch relativ am Anfang dessen, befanden.
Die Selbstverständlichkeit des Fliegens ist unser Alltag. Dabei ist es gar nicht selbstverständlich, da Menschen nicht fliegen können. Wieso ist dies dann unsere Normalität und wir überschreiten hier fast arglos unsere menschlichen Grenzen? Unsere Normalität wird in einer Selbstverständlichkeit gelebt und keiner (oder nur wenige) denkt darüber nach, wohin sich diese entwickelt und lassen sich einfach so vom Fluss der Entwicklungen steuern, ohne zu hinterfragen, wer die Richtung vorgibt. Die Reflexion des Alltags findet im Kleinen statt, im Einzelnen, oder nur punktuell. Es geht uns gut, wir müssen um nichts bangen, wir sind beschäftigt und abgelenkt. Es gibt nichts zu klagen, der Fortschritt ist so gross wie noch nie und der damit verbundenen Wohlstand auch. In unserem Bewusstsein sind Fortschritt und Wohlstand ein Paar.
Doch kommen wir zurück zu unserem aktuelle Beispiel. Da ist einerseits die Technik, ein Teil unseres Lebens, die aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Wir verlassen uns täglich mehrfach auf Technik, obwohl wir wissen, dass diese nicht unfehlbar ist und versagen kann. Wir steigen in ein Flugzeug, obwohl wir wissen, wenn etwas schief geht kommen wir nur mit viel Glück lebend herunter. Die luftige Höhe da oben ist nicht unser Element. Wir könne dort weder atmen, noch uns bewegen, wenn wir auf uns selber gestellt sind. Wir vertrauen der Technik. Was 98 von 100 Mal funktioniert ist sicher. Das ist sehr hochgegriffen, wir vertrauen sogar auf viel weniger. Wir vertrauen der Technik sogar mehr, als uns selber. Obwohl ich mich gesund fühle, gehe ich zur Vorsorgeuntersuchung und lasse mir das durch Technik bestätigen. Dann erst glaube ich daran und habe ein ruhiges Gewissen. Obwohl auch dies berechtigterweise sehr umstritten ist, vertrauen und verlassen wir uns lieber darauf, als auf uns selber.
Nun kommt der zweite Teil ins Spiel, wir verlassen uns auf andere Menschen. Ja das soll so sein und ist sehr wichtig. Das Vertrauen in die Menschen einer Gemeinschaft ist die Basis für ein gutes gemeinschaftliches Leben. Aufeinander vertrauen und bauen, sich gegenseitig helfen und unterstützen und gemeinsam am Leben erfreuen. So wie ich das beschreibe, kennen wir diese Menschen, auf die wir uns verlassen. Wir haben ja gesagt zu der Gemeinschaft mit ihnen, nachdem wir sie kennen und schätzen gelernt haben. Wir sind mit ihnen zusammen in die Gemeinschaft hineingewachsen. Doch der Piloten, auf den wir uns als Passagiere eines Flugzeugs verlassen, den kennen wir nicht. Wir wissen nicht wie er heisst, was er denkt, was ihn bewegt. Wir haben nicht bewusst ja gesagt zu einem gemeinschaftlichen Projekt mit ihm. Wir lassen uns blind und unbewusst auf ein Unternehmen mit ihm ein, obwohl wir gar nicht wissen, ob uns was verbindet, ob wir Gemeinsamkeiten haben und ob uns das gegenseitige Wohl am Herzen liegt.
Unsere Gesellschaft in der wir leben ist keine gewählte Gemeinschaft nach Gesichtspunkten des Vertrauens, sondern nach Gesichtspunkten von Interessen. Und die Interessen sind unterschiedlich, widersprüchlich und in Konkurrenz miteinander. Wir leben ein argloses und versichertes (verbrieftes) Vertrauen aus dem Verstand heraus und nur selten und im Kleinen aus der Verbundenheit des Herzens. Unser Fortschritt und unser Wohlstand, der unseren Alltag bestimmt, kommt aus dem Verstand und folgt Gesetzen, die nicht aus einem gewachsenen, persönlichen Vertrauen entstehen. Das ist unsere gelebte Normalität. Manchmal brauchen wir Ereignisse, die unseren abgehobenen Alltag auf den Boden der Realität bringen, indem sie uns unsere Grenzen aufzeigen. Wenn wir uns nicht von der eigenen Betroffenheit, welche aus der Angst entsteht und den Medienberichten ablenken lassen, welche die Betroffenheit gerne für ihre Zwecke ausschlachten, ohne wirklich zu reflektieren und zu ergründen, haben wir in solchen Momenten die Chance, unseren Fortschritt und unseren Wohlstand zu hinterfragen und über die Fragen nachzudenken, warum wir Menschen auf dieser Erde sind, wir so sind, wie wir sind und was uns daran hindert, unsere von der Schöpfung gedachte und gegebene Normalität in Demut zu leben. 

Donnerstag, 2. April 2015

Sieglinde Lorz