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Gleichwertigkeit - ein langer Weg

Wir reden viel von Gleichberechtigung. Hier geht es aktuell meistens um Mann und Frau. Klar ist es auch im Zusammenhang mit Rasse, Religion und politische Gesinnung ein etabliertes Schlagwort. Doch wie sieht es mit der grösseren Schwester der Gleichwertigkeit aus? Na da tun wir uns aber schwer! Weil, wer welchen Wert hat, das ist immer noch ein hoch emotionales und das Selbstbewusstsein hebendes oder untergrabendes Gebiet. Wir sprechen von gleicher Bezahlung bei gleichwertigen Tätigkeiten, Kompetenzen, Leistungen usw. und achten streng darauf, dass ja nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden. Aber warum nicht?
Welchen Wert hat die Welt und für wen? Das ist doch die Frage. Vor allem bei „für wen“, sollten wir mal ernsthaft über unsere „Werte“ nachdenken. Ich bin wertvoll, wenn ich für wen oder was wertvoll bin? Worum geht es eigentlich im Leben, was ist wichtig? Wir landen unwillkürlich bei der grössten Sinnfrage überhaupt. Wertigkeit ist ein Schlüsselthema des Lebens. Gleichwertigkeit vermutlich die Lösung.

Gerade habe ich ein Buch gelesen über das Piapoco-Volk im Amazonas. Ein indigenes Volk, das sich nicht „zivilisieren“ liess vom weis(s)en Mann. Ihre Sprache kennt kein ich oder mein, sondern nur ein wir und uns. Ein Nomadenvolk ohne Besitz, da alles Mutter Erde gehört und keinem Menschen gehören kann. Man tut nie etwas für sich, sondern immer etwas für die Gemeinschaft. Jeder hat seine Gabe, seine Rolle, seinen Platz in der Gemeinschaft.
Wieso erwähne ich das? Weil Besitz, das Mein und das Dein, das Trennende und Vergleichende ein Grundprinzip der Wertigkeit unserer Gesellschaft ist. Besitz und Bildung sind nicht nur grosse Wertverbesserer, sie sind Status. Wer keine Bildung (Schule) erfahren durfte, ist minderbemittelt und entwicklungsbedürftig, hat weniger Wert und wird benachteiligt. Wer seine Arbeitskraft nicht verkaufen kann, muss alles tun, um dies zu schaffen. Er ist nur Almosen wert. Wie viel er davon bekommt und wie lange, bestimmen die anderen. Die, die es geschafft haben. Aber was haben wir denn geschafft, oder noch besser für das Leben erschaffen, wenn wir studiert und gebildet sind, wenn wir einen guten Beruf gelernt haben, wenn wir wissen, wie wir Geld vermehren können in der künstlichen Parallelwelt zum natürlichen Ökosystem Erde? Worum geht es eigentlich in unserer Gesellschaft?
Unsere Werte sind ein Reichtum, das woanders, da wo wir ausbeuten, für Armut sorgt. Da hat uns auch das Studieren an unseren hohen Schulen nicht zu Höherem verholfen. Und noch schlimmer, unsere Wissenschaft entfernt uns immer mehr vom wahren Wissen, da sie die Natur so verstehen möchte, wie sie nicht ist. Als ein biochemischer Organismus, ein minderwertiges/-intelligentes Produkt, das niemals einem Menschen das Wasser reichen kann. Das Wasser reichen?! Wer reicht uns denn das Wasser, das wir so dringend zum Leben brauchen? Ein Wissen das weiss, wie man sich andere untertan macht, sie nutzt und ausbeutet, Künstliches erschafft und Natürliches zerstört, basiert auf einem falschen Verständnis der Wertigkeit. 
Die Mutter Erde reicht uns das Wasser, die Luft und die Pflanzen, ohne die wir Menschen hier nicht leben könnten. Die Sonne hilft ihr dazu. Warum sie das tut? Das wissen die Götter! Vor allem, warum sie das immer noch tut, nach all dem, was wir hier anrichten. Und sie unterscheidet nicht zwischen dir und mir. Sie handelt nach keinem Kriterium. Für sie sind alle Menschen (eigentlich Tiere) gleich. Der Baum gibt jedem seine Frucht, der sie pflücken will und nährt ihn. Auch der Salat verweigert sich nicht. Vielleicht dienen sie dem einen ein wenig mehr, weil sie sich bei ihm wohler fühlen und sich etwas besser entfalten können. Vielleicht ist auch nur die Anerkennung des Schatzes, den sie mitbringen, der Schlüssel, um ihre Essenz besser zu spüren (z.B. bei Heilmitteln). Die Pflanze selber ist einfach, wie sie ist.
Was heisst das nun für uns Menschen untereinander? Wenn die Erde, als unsere Ernährerin, uns bedingungslos als gleichwertig betrachtet, wieso bestehen wir immer noch auf einem Unterschied in unserer gegenseitigen Wertigkeit? Und das immer noch auf einer Basis, die die Welt zerstört, statt sie zu erhalten? Unser gesunder Menschenverstand allein reicht schon dafür, das zu erkennen. Die die am Nächsten an der Natur und deren Erhaltung sind, die sind für uns die Wertlosesten, die Entwicklungsbedürftigsten. Sie sind die Unzivilisierten, die Rückständigen, die Primitiven. Dabei sind sie nur „einfach“. Einfach Teil der Natur, integriert in das Ökosystem des Planeten, im Einklang mit sich und der Welt. Sie sind „wir“. Wir müssen das noch werden.

Montag, 18. Januar 2016

Sieglinde Lorz