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Sterben um zu Werden

Immer dann, wenn sich Altes verabschiedet und stirb, wird der Neuanfang geboren. Das ist ein wenig wie mit den neuen Zähnen, die die Alten wegstossen. Wobei dies die sichere Variante des Wechsels im Leben ist. Wir spüren das Neue schon und somit fällt es uns leicht, Altes und Gewohntes loszulassen.
Aber wie ist es, wenn das Alte vergeht, stirbt, nicht mehr funktioniert und das Neue noch keine Form, Struktur und gesunde, sichere Basis hat? Das ist herausfordernd, weil es eine innere Klarheit benötigt, eine differenziertes und achtsames Hinschauen und eine noch grössere Portion Vertrauen.
Es heisst Achtsamkeit für und Vertrauen in die innere Stimme zu haben, die zuerst nicht fassbar und hörbar ist, weil ihr einerseits der Mut fehlt und sie andererseits vom Geschrei der Angst, des Bedauerns und Wehklagens übertönt wird. Ihr fehlt vielleicht auch noch die Klarheit sich durchsetzen zu können, weil wir ihr keinen Spielraum geben, indem sie sich entnebeln kann. Wir konzentrieren unsere Kräfte und unsere Aufmerksamkeit immer noch auf das Festhalten am Alten, arbeiten an dessen von Nostalgie und Angst geprägter Wiederbelebung und sind versucht die äusseren Zeichen der Zeit und die Botschaft der inneren Stimme immer noch in die Schemen und Strukturen des Alten zu pressen.

Dabei kommt nach dem Sterben immer das Werden. Das ist im zyklischen Dasein des Lebens ein Naturgesetz. Beende Altes und aus der Leere wird das Neue entstehen, für das jetzt die Zeit gekommen ist. Es schlummert schon lange in den Startlöchern des Samens, der durch Vergangenes gesät wurde. Nichts geht und verabschiedet sich in einem zyklischen Lebensprozess, das nicht bereits die Samen für Neues ausgesät hat. Der nahrhaften Boden wird durch den Verwesungsprozess des Verstorbenen bereitet und gibt dem Neuen die Kraft und Energie, die es braucht. Diesen Prozess müssen wir zulassen. Wie müssen das Sterben und Vergehen zulassen indem wir loslassen und den Zersetzungs- und Auflösungsprozess sogar feierlich und bewusst mit nahrhaften Gedanken und (ritueller) Freude begleiten.
Die nötige Achtsamkeit hilft uns die Substanzen und Bausteinen zu erkennen und zu extrahieren, die uns beim Aufbau und Heranwachsen des Neuen helfen und dienlich sind. Wir nehmen mit, was uns weiterhilft und das, was wir nicht mehr brauchen, geben wir als Energie zurück in den Zyklus des grossen Ganzen. Es wird als Energie anderen zur Verfügung stehen und dienen, so wie auch wir uns mit neuen Energien aus dem grossen irdischen und kosmischen Energietopf versorge dürfen.

Scheiden heisst auch unterscheiden zwischen dem was mitgeht, wegfliegt und neu dazu kommen darf. Dieser Prozess braucht Zeit und muss gelebt werden. Denn wer zu schnell der Begeisterung für das Neue erliegt, wird das Alte fallenlassen, statt es abzuschliessen. Dabei wird einiges verloren gehen, was wichtig ist und  beim Aufbau des Neuen somit fehlen wird. Das führt dazu, dass wir es wieder finden, erarbeitet und aufbauen müssen. Unsere Schnelligkeit wird gebremst und verlangsamt. Wir werden erneut an einen Punkt zurückgeführt, den wir nicht abschliessen wollten oder konnten und dürfen hier noch einmal im Prozess des Sterbens nachsitzen.
Zyklen wollen und müssen abgeschlossen werden. Sie bauen aufeinander auf. Überspringen ist zwar möglich, doch es wird mit wieder-holen belohnt. Wir bekommen quasi die Chance etwas fälschlicherweise Weggeworfenens uns wieder-zu-holen.


Ja die Schöpfung ist gütig. Wenn wir jeden Wandel, jeden Transformationsprozess mit diesen Augen betrachten, dann werden wir Vertrauen gewinnen und immer wissen, wir können nichts vergessen und nichts falsch machen. Eile mit Weile. Wer sich Zeit lässt kommt genauso ans Ziel wie der, der es eilig hat. Wer dem inneren Prozess im Aussen vorauseilt, darf wieder-holen was er vergessen, übersehen, verpasst, oder falsch eingeschätzt hat.
Wer die Reise nach Innen verstärkt, wird merken, dass die Wandlung im Aussen leichter wird. Bewusstsein ist immer schneller und stärker, als die Aktivität in der Materie. Klarheit hat eine starke Anziehungskraft und wird das ins Leben holen, was wir gerade brauchen und uns dient. Wer lernt darauf zu bauen, wird erfahren, dass er sich darauf verlassen kann. Was nicht heissen soll, dass wir das Aktivitätenspiel im Aussen aufgeben sollen. Es heisst einfach nur bewusstes Spielen im Prozess der Transformation vom Sterben um zu Werden.


Sieglinde Lorz

Montag, den 6. Februar 2017